MOVE – Das Migrationsverhalten von Zugvögeln in Abhängigkeit von Siedlungsmustern und -strukturen
Im Jahr 2007 lebte erstmalig in der Menschheitsgeschichte ein größerer Anteil der globalen Bevölkerung in Städten als auf dem Land. Prognosen rechnen zudem mit einem weiteren kontinuierlichen Anstieg der Weltbevölkerung, welcher hauptsächlich von urbanen Räumen getragen wird. Das Bevölkerungswachstum sowie steigende Lebensstandards führen dabei zu einer immer weiter fortschreitenden Expansion und Verdichtung von Siedlungsräumen. Diese Entwicklung kann eine Bedrohung für die Fauna darstellen, da wichtige Habitate innerhalb der Siedlungsräume verloren gehen und angrenzende Naturräume eine zunehmende anthropogene Überformung erfahren. Der Weißstorch (Ciconia ciconia) ist einer der bekanntesten europäischen Zugvogelarten welcher als Kulturfolger in enger Gemeinschaft mit dem Menschen lebt. Es ist bekannt, dass die Art Siedlungsräume nutzt, z.B. als Brutstätte, jedoch sind die detaillierten Zusammenhänge zwischen Siedlungsmorphologie sowie Bewegungs- und Verhaltensmustern der Vögel noch weitgehend unbekannt. Durch die zunehmende Transformation und Expansion von Siedlungsräumen ist es jedoch unbedingt notwendig zu untersuchen, ob bestimmte Siedlungsmuster und -strukturen sowie deren Veränderungen Brut, Rast, Nahrungssuche oder Wanderungsbewegungen beeinflussen, um die ohnehin schon als bedroht eingestufte Art zu schützen.
Das übergeordnete Ziel des Dissertationsvorhabens ist es deshalb zu erforschen, ob und wenn ja, in welchem Ausmaß bestimmte Siedlungsmuster und -strukturen sowie deren Veränderungen die Bewegungs- und Verhaltensmuster der Weißstörche, positiv oder negativ, beeinflussen.
Durch die Kombination von Methoden aus dem Bereich der „Urbanen Fernerkundung“ und der „Movement Ecology“ soll im Rahmen der Dissertation ein Datenmodell aufgebaut werden, das es ermöglicht diese Zusammenhänge systematisch zu untersuchen. Bereits etablierte Methoden der Fernerkundung zur Klassifikation von Siedlungsräumen sollen angewendet und weiterentwickelt werden (z.B. für neue Sensoren wie Sentinel-2), so dass großräumig und flächendeckend Informationen zur horizontalen und vertikalen Siedlungsstruktur von der kontinentalen über die regionale bis hin zur lokalen Ebene multitemporal abgeleitet werden können. Ergänzend sollen Parameter wie beispielsweise der Grünflächenanteil und regionale Aufwinde ermittelt werden, um auch weitere wichtige Umweltfaktoren in die Untersuchung zu integrieren. Durch die Anwendung von Methoden aus dem Bereich der „Movement Ecology“ sollen mit Hilfe von GPS-Sensoren gesammelten Bewegungsdaten von Weißstörchen, Informationen über räumliche und zeitliche Bewegungs- und Verhaltensmuster (Brut, Rast, Nahrungsaufnahme und Migration) der Zugvögel gewonnen werden. Im Hauptteil der Dissertation werden die generierten Informationen aus Erdbeobachtungs- und Bewegungsdaten zur Entwicklung neuartiger Tier-Umwelt-Analysen und Verbreitungsmodelle herangezogen, um Zusammenhänge zwischen Siedlungsmustern/-strukturen und den Bewegungs-/Verhaltensmustern der Weißstörche systematisch zu identifizieren. Zudem sollen, unter Zuhilfenahme der multitemporalen Erdbeobachtungsdaten sowie der identifizierten Korrelationen, Vorhersagen zur Raumnutzung der Vögel durchgeführt werden. Basierend darauf sollen abschließend Änderungen der Bewegungs- und Verhaltensmuster identifiziert und auf Korrelationen zu veränderten Siedlungsstrukturen/-mustern untersucht werden.
Dieser multiskalige und verschiedene Fachdisziplinen übergreifende Ansatz erlaubt erstmalig die Untersuchung des Einflusses der Siedlungsmorphologie (horizontal und vertikal) auf Bewegungs- und Verhaltensmuster einer Zugvogelart.
Die Erkenntnisse, die im Rahmen des Dissertationsvorhabens gewonnen werden sollen Planern und Umweltschutzverbänden helfen, geeignete Maßnahmen zu erarbeiten, damit Siedlungsräume auch langfristig als Lebensraum für den Weißstorch erhalten bleiben. Zudem soll mit der entwickelten Methodik eine Grundlage für die Untersuchungen weiterer Tierarten geschaffen werden, um potentielle Zusammenhänge zwischen Fauna und Siedlungsmorphologie zukünftig besser verstehen zu können.
Kontakt: Ines Standfuß